Ärztemangel: Auswirkung auf das aktuelle Gesundheitswesen

Die Vereinigten Staaten sind im Gesundheitswesen mit einer drängenden Herausforderung konfrontiert – einem sich anbahnenden Ärztemangel. Das Land erwartet bis zum Ende des Jahres einen Mangel von bis zu 64.000 Ärztinnen und Ärzten, eine Zahl, die bis 2036 prognostiziert auf bis zu 86.000 ansteigen kann1.

Eine kürzlich durchgeführte Sermo-Umfrage ergab, dass 82 % der medizinischen Fachkräfte die Auswirkungen verspürt haben, wobei jedoch nur 14 % der Ansicht sind, dass die derzeitigen Anstrengungen ausreichen2. Wie wirkt sich der Ärztemangel in den USA auf die Versorgungsqualität aus und welche Strategien könnten die Krise entschärfen? 

Einblicke aus der Sermo-Community liefern Antworten auf diese drängenden Fragen.

Welche Folgen hat der Ärztemangel für das Gesundheitswesen?

Der Ärztemangel hat bedeutende Auswirkungen auf das Gesundheitswesen in den USA. Einige der am stärksten betroffenen Bereiche sind:

  • Mangel an Allgemeinmedizinern: Experten prognostizieren einen Mangel von 17.800 bis 48.000 Allgemeinmedizinern bis 2034, wobei ländliche Gebiete am stärksten gefährdet sind3.
  • Notfallmedizin: 2023 waren in diesem Bereich 555 Assistenzarzt-Positionen nicht belegt4.
  • Ärztemangel je nach Fachgebiet: In Bereichen wie der Kardiologie, Onkologie und Pneumologie wird bis 2034 ein Mangel an 3.800 bis 13.400 Ärztinnen und Ärzten prognostiziert3.

Obwohl dieser Mangel sowohl die städtische als auch die ländliche Bevölkerung betrifft, ist er besonders für die ländlichen Regionen alarmierend, in denen der Zugang zur medizinischen Versorgung schwindet.  Dieser Mangel trägt bei zu:

  • Langen Wartezeiten
  • Begrenztem Zugang zu kritischen Behandlungen
  • Überarbeitung von Ärzten

35 % der von Sermo befragten Ärzte werden ihre Funktion in den nächsten fünf Jahren wahrscheinlich verlassen, wobei 60 % davon in Betracht ziehen, die klinische Praxis vollständig aufzugeben2.

Ärztemangel

Warum gibt es einen Ärztemangel?

Burnout und zunehmendes Arbeitspensum

Burnout bei Ärzten ist der Hauptfaktor, der Fachkräfte ausscheiden lässt.

McKinsey zufolge geht es beim Burnout nicht nur um Überstunden. Ärztinnen und Ärzte, die das Gefühl haben, dass ihnen die Kontrolle über ihre Arbeitspläne fehlt, berichten mit höherer Wahrscheinlichkeit von einem Burnout, wobei 66 % Unzufriedenheit mit ihren Arbeitsplänen als Hauptgrund angeben, die Aufgabe ihrer Funktion in Betracht zu ziehen. Dieses Problem ist besonders in Fachgebieten wie der Notfallmedizin ausgeprägt, in denen die Patientenzahlen hoch sind1.

Ein Hausarzt in der Sermo-Community beschrieb die psychische Belastung: „Es gibt nicht genug Ärzte und das sorgt für viel Stress, Überstunden und Krankheiten, die für die Abwesenheit von Ärzten verantwortlich sind5.“ 

Auf diese Probleme einzugehen, ist entscheidend, um Ärzte zu binden und die Standards im Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten.

Geringe Vergütung und hohe Ausbildungskosten

Die finanzielle Belastung spielt im Hinblick auf den Mangel ebenso eine bedeutende Rolle. 34 % der Sermo-Befragten geben eine geringe Bezahlung als wichtigen Faktor an2

Eine McKinsey-Umfrage hat in ähnlicher Weise ergeben, dass 69 % der Ärzte der Ansicht sind, dass eine höhere Vergütung ein starker Anreiz wäre, zu bleiben1. Inzwischen sorgen die hohen Kosten der medizinischen Ausbildung dafür, dass viele Studentinnen und Studenten nicht die Allgemeinmedizin, sondern lukrativere Fachgebiete bevorzugen.

Ein Sermo-Mitglied wies darauf hin, dass die wachsende Abhängigkeit von günstigeren Gesundheitsdienstleistern den Mangel weiter kompliziert: „Es gibt nicht nur einen Mangel an Allgemeinmedizinern, sondern eine stärkere Abhängigkeit von günstigeren Anbietern 5.“ 

Dieser Trend treibt hochqualifizierte Ärzte in Richtung besser bezahlter Fachgebiete und lässt die medizinische Grundversorgung unterfinanziert und unterbesetzt zurück. Es ist wichtig, die Vergütung und die Ausbildungskosten zu thematisieren, um das Defizit an Arbeitskräften im Gesundheitswesen zu beheben.

Autonomieverlust

Viele Ärzte werden auch in große Gesundheitssysteme geschoben, wo sie weniger Autonomie haben. 

Zwischen 2019 und 2021 wechselten ungefähr 108.700 Ärztinnen und Ärzte von Privatpraxen zu Beschäftigungen in größeren Organisationen. Ursache waren die Belastungen durch Formalitäten, Verwaltungsaufgaben und sinkende Kostenerstattungen6.

Ein Sermo-Arzt vermittelte uns seine Frustrationen: „Wenn Allgemeinmediziner fair bezahlt werden, dann werden sie kommen5.“ Wiederherstellen der Autonomie und Thematisieren des finanziellen Drucks sind entscheidend, um Ärztinnen und Ärzte besser zu binden und die Zufriedenheit zu stärken.

Die anhaltenden Auswirkungen von COVID-19

Die COVID-19-Pandemie verschlechterte den bereits bestehenden Mangel und treibt viele Fachkräfte dazu, endgültig auszuscheiden. 

84 % der Befragten sprachen in einem McKinsey-Bericht von Herausforderungen, Pflegekräfte in ausreichender Anzahl zu finden und 60 % waren mit einem Mangel an Mitarbeitern im Bereich der klinischen Unterstützung konfrontiert. Dieser Mangel, der von erhöhter Fluktuation und einem höheren Anteil an freien Stellen begleitet wird, hat ein anspruchsvolles Umfeld für die Bereitstellung von Leistungen im Gesundheitswesen geschaffen7.

Die Diskussionen auf Sermo haben die langfristigen Auswirkungen der Pandemie betont. Ein Mitglied sagte: „Es gibt nicht genug Ärzte und der Stress, der aus Überstunden resultiert, hat dazu geführt, dass viele krank werden oder der Arbeit fernbleiben5.“ 

Auch 2024 sorgen die nachklingenden Auswirkungen der Pandemie weiterhin für Personalausfälle und Belastungen des Systems, weshalb der Ärztemangel noch schlimmer ist und schwieriger bewältigt werden kann.

Politischer Einfluss

Die Politik hat eine Rolle gespielt, den Ärztemangel zu verschlimmern. Bei einer Umfrage unter mehr als 1.200 Sermo-Ärzten sagten 64 %, dass politische Faktoren ihre Verfahrensweisen beeinflusst haben8.

Veränderungen der staatlichen Richtlinien hinsichtlich der Fortpflanzungsmedizin haben z. B. dazu geführt, dass Ärztinnen und Ärzte nicht mehr praktizieren oder es vermeiden, in bestimmten Regionen zu praktizieren. Darüber hinaus sind 46 % der Ärzte wegen politischer Zwänge umgezogen, was weiter zu regionalen Verknappungen beiträgt8.

Ein US-Arzt teilte seine Erfahrung mit: „Politik hat meine Praxisentscheidungen nie beeinflusst, aber politischer Druck engt die Art und Weise, in der Ärzte praktizieren, zunehmend ein8.“ Diese Stimmung spiegelt die wachsende Spannung zwischen der Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen und dem regionalen politischen Klima wider, was sich direkt auf die Patientenversorgung auswirkt und die Notwendigkeit betont, diese externen Zwänge zu thematisieren, um Ärzte zu halten.

Burnout bei Ärztinnen und Ärzten

Bekämpfung von Burnout und Personalmangel

Um den Ärztemangel zu bewältigen, müssen sich die Gesundheitssysteme zunächst auf die Verbesserung der unmittelbaren Arbeitsbedingungen konzentrieren und sich dann mit langfristigen Strategien zur Mitarbeiterbindung auseinandersetzen. 

57 % der auf Sermo befragten Ärztinnen und Ärzte haben die Verbesserung der Flexibilität am Arbeitsplatz als eine Top-Lösung identifiziert. Dies könnte Folgendes umfassen2:

  • Flexible Arbeitspläne und Telemedizin-Optionen, um Ärztinnen und Ärzten mehr Kontrolle über ihre Arbeit zu verschaffen.
  • Reduzierung des Verwaltungsaufwands, um Ärztinnen und Ärzten zu ermöglichen, sich auf die Patientenversorgung zu konzentrieren, anstatt auf Formalitäten.
  • Rekrutierung aus dem Ausland, um Personallücken zu schließen, was, wie ein Allgemeinmediziner in der Sermo-Community erwähnt, “viele Krankenhäuser in den Vereinigten Staaten tun5”. Diese Methode trägt dazu bei, die unmittelbare Arbeitsbelastung zu lindern und den Ärztemangel kurzfristig zu beheben, was Burnout und die Belastung überforderter Mitarbeiter reduziert.
  • Initiativen zur psychischen Gesundheit, um Ärztinnen und Ärzten die Unterstützung zu bieten, die sie benötigen, um Stress, Burnout und emotionales Wohlbefinden zu managen und sie dabei zu unterstützen, in anspruchsvollen Arbeitsumgebungen widerstandsfähig zu bleiben.

Strategien und Lösungen zur Mitarbeiterbindung

Neben der Verbesserung der unmittelbaren Arbeitsbedingungen müssen die Gesundheitssysteme langfristige Strategien zur Mitarbeiterbindung umsetzen, um den Ärztemangel zu bekämpfen. Die Bindung von Ärztinnen und Ärzten erfordert einen facettenreichen Ansatz und in der Sermo-Community wurden mehrere Strategien diskutiert, darunter:

Schulungs- und Mentoringprogramme

Studenten zu ermutigen, sich Fachgebieten zuzuwenden, die für Engpässe anfällig sind, erfordert starke Schulungs- und Mentoringprogramme.  

Ein Sermo-Mitglied aus der Notfallmedizin betonte die Bedeutung umfassender Einstellungspraktiken, unterstützender Arbeitsumfelder und effektiver Schulung und Entwicklung5

Ein Mitglied aus der Pädiatrie betonte: “Mitarbeiter wünschen die Möglichkeit, sich beruflich zu entwickeln und ihre Karriere voranzubringen5.” Diese Strategien sind nicht nur wichtig, um dem Ärztemangel zu begegnen, sondern auch, um die langfristige berufliche Entwicklung und die Mitarbeiterbindung im Gesundheitswesen zu fördern.

Leadership- und Anerkennungsprogramme

Ohne Leadership- und Anerkennungsprogramme fühlen sich viele Ärzte unterschätzt, übersehen und sind mit Erwartungen konfrontiert, die der Funktion nicht entsprechen. Wie ein Sermo-Mitglied (Anästhesiologie) ausführt: “Mismanagement hat dazu geführt, dass sich der Job enorm von dem unterscheidet, wofür ich unterschrieben habe5.” 

Leadership- und Anerkennungsprogramme zu implementieren, ist unverzichtbar, um ein Gefühl von Zugehörigkeit und beruflicher Erfüllung zu fördern. In diese Programme zu investieren, schließt die Lücke zwischen den Erwartungen von Ärztinnen und Ärzten und der Realität. Die Probleme durch starke Leadership- und Anerkennungsprogramme anzugehen, kann die Mitarbeiterbindung stärken und die Zufriedenheit verbessern, da sich Ärzte in ihrer Funktion geschätzt und unterstützt fühlen.

KI-gestützte Tools im Gesundheitswesen

KI-gestützte Tools

Obwohl 17 % der Führungskräfte im Gesundheitswesen der Meinung sind, dass KI die Arbeitsbelastungen verringern kann9, ist die Akzeptanz immer noch gering. Tools wie KI-gestützte elektronische Patientenakten können die Verwaltungszeiten reduzieren und einen stärkeren Fokus auf die Patientenversorgung ermöglichen.

Unterstützung von Mitarbeitern und Delegieren von Aufgaben

Laut einer McKinsey-Studie könnten fast 20 % der klinischen Zeit eines Arztes an Mitarbeiter delegiert werden, die keine Ärzte sind, wobei 42 % der im Krankenhaus tätigen Befragten angaben, dass Praxismitarbeiter mit einer Zusatzausbildung mehr klinische Aufgaben bewältigen könnten1. Die richtige Schulung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass sich diese Mitarbeiter auf klinische Aufgaben und nicht auf Verwaltungsaufgaben konzentrieren. 

Viele Sermo-Mitglieder sind jedoch weiterhin wegen der Versorgungsqualität besorgt„Ein Familienmediziner, der eine dreijährige Assistenzarztzeit abgeschlossen hatte, verzeichnete 100 Mal mehr klinische Zeit, als eine neue Pflegespezialistin5.” Daher ist es wichtig für den Erfolg, das Delegieren von Aufgaben und die Wahrung hoher Versorgungsstandards ins Gleichgewicht zu bringen.

Diese Strategien könnten implementiert werden, um die langfristige Mitarbeiterbindung zu stärken und die Belastung der Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu reduzieren.

Wie wird die Zukunft angesichts des Ärztemangels aussehen?

Wie wird die Zukunft angesichts des Ärztemangels aussehen?

Der Ärztemangel ist eine der drängendsten Herausforderungen, der das US-Gesundheitswesen gegenübersteht. 

Von Burnout bis hin zu politischen Einflüssen sind die Ursachen komplex und erfordern umfassende Lösungen. Die Gesundheitssysteme müssen sich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen konzentrieren, eine bessere Bezahlung bieten und die Zusammenarbeit zwischen Regierung, Privatsektor und akademischen Einrichtungen fördern.

Da die Bevölkerung altert – bis 2040 wird eine von fünf Personen 65 Jahre oder älter sein10 – und der Bedarf an medizinischen Leistungen zunimmt, sind nachhaltige, langfristige Lösungen dringender als je zuvor.

Beteiligen Sie sich auf Sermo an der Diskussion

Der Ärztemangel ist eine Herausforderung, die uns alle betrifft, aber die Lösungen resultieren aus gemeinsamer Erfahrung und Zusammenarbeit.

Treten Sie der Sermo-Community bei, um Kontakt zu Fachkollegen herzustellen, Ihre Erkenntnisse zu teilen und sich an laufenden Diskussionen zu den praktischen Lösungen dieser Krise zu beteiligen.

Footnotes

  1. McKinsey & Company
  2. Sermo
  3. St. George’s University (SGU)
  4. The Conversation
  5. Sermo
  6. Becker’s Physician Leadership
  7. McKinsey & Company
  8. Sermo
  9. Sermo
  10. Sermo