Ärztinnen und Ärzte, die ihre menschliche Seite offenbaren: Die Bedeutung von Empathie und Kommunikation in der Patientenversorgung

95 % der Ärztinnen und Ärzte sind einer kürzlich durchgeführten Sermo-Umfrage zufolge der Ansicht, dass Patienten besser auf medizinische Fachkräfte reagieren, die Empathie und Mitgefühl zeigen1.

Trotz dieser überwältigenden Zustimmung äußern 71 % der Ärzte dennoch Bedenken, dass sie in ihrer täglichen Arbeit keine Empfindungen und authentischen Gefühle zum Ausdruck bringen, was sich negativ auf die Ergebnisse der Patienten auswirken könnte.1

Also warum ist das Zeigen von Empathie im Gesundheitswesen unverzichtbar und warum schaffen es so wenige Ärztinnen und Ärzte, authentische Gefühle in dem Maße zu zeigen, in dem sie es gerne möchten?

Dieser Artikel untersucht – einschließlich quantitativer Daten und persönlicher Reflexionen – Erkenntnisse aus der Sermo-Community, um die Hindernisse für eine empathische Versorgung zu verstehen und herauszufinden, was getan werden kann, um ein mitfühlendes Umfeld im Gesundheitswesen zu fördern.

Warum das Zeigen von Humanität für das Verhalten eines Arztes dem Patienten gegenüber von Belang ist.

Empathie ist in der Medizin nicht einfach ein Ideal, sondern sie wirkt sich direkt auf die Patientenergebnisse aus. 

Studien zeigen, dass Patienten von hoch empathischen Ärzten eine bessere Kontrolle über chronische Erkrankungen haben, z. B. im Hinblick auf Diabetes und niedrigere Cholesterinwerte.2 Empathie steigert die Zufriedenheit der Patienten um 52 % – sie verbessert die Überlebensraten, die Therapietreue bezüglich der Medikation und sie verringert erneute Krankenhausaufnahmen.3

Vertrauen ist die Grundlage einer effektiven Arzt-Patient-Beziehung und Empathie fördert dieses Vertrauen. In der Tat merkt ein Hausarzt auf Sermo an: “Patienten wünschen sich eher einen Arzt mit schlechteren Kenntnissen, aber mehr Empathie, als einen mit exzellenten Kenntnissen, dem Empathie jedoch fehlt.4” Dies unterstreicht die Idee, dass technisches Fachwissen allein nicht ausreicht und dass Patienten gehört, verstanden und umsorgt werden möchten, was letztendlich zu besserer Therapietreue sowie zu besseren gesundheitlichen Ergebnissen führen kann.

Empathie steigert ebenso die Wirksamkeit der eigentlichen Behandlung. Studien zeigen, dass empathische ärztliche Beratungen den Bedarf an postoperativem Morphin um 50 % reduzieren sowie Schmerzen, Depression und Angstzustände um 20 % verringern.3 Dies bekräftigt die Idee, dass es bei der Versorgung darum geht, den Patienten als Person zu verstehen. Ein Arzt auf Sermo ist ebenso dieser Meinung: “Sympathisch, empathisch und freundlich zu sein, fördert echte Verbundenheit.4

Trotz ihrer Vorteile ist Empathie im Gesundheitswesen nicht einfach “nice-to-have”, sondern ein wichtiger Faktor für den Aufbau von Vertrauen, was die Ergebnisse der Patienten verbessert und die allgemeine Wirksamkeit der Behandlung stärkt.

Hindernisse für Empathie: Was hält Ärzte zurück?

Emotionale Erschöpfung und Burnout

Erstaunliche 87 % der Ärztinnen und Ärzte sind der Meinung, dass emotionale Erschöpfung und Burnout dazu beitragen, Empathie zu unterdrücken,1 was Ärzte davon abhält, sich umfassend mit ihren Patienten zu beschäftigen. Der unerbittliche Druck langer Schichtdienste, Verwaltungslasten und hohe Patientenzahlen lassen für eine mitfühlende Versorgung nur geringe emotionale Kapazitäten. 

Ein Hausarzt auf Sermo merkt an: “Burnout sorgt oft dafür, dass wir unseren Arbeitstag einfach nur zu Ende bringen wollen, was sich ernsthaft auf die Kommunikation mit der Familie und mit den Patienten auswirkt.4” Ein Familienmediziner auf Sermo bestätigt dies und beschreibt, wie die Erschöpfung in der Assistenzarztzeit und die Anforderungen in der späteren Karriere die Fähigkeit beschädigen, zu Patienten eine Verbindung aufzubauen.4

Unrealistische Erwartungen seitens der Krankenhäuser und der Patienten tragen zusätzlich zur Belastung bei, wie eine Neurologin auf Sermo ausführt: “Das Arbeitspensum, das Ärzten abverlangt wird und der Druck, sich diesem anzupassen, trägt zur Unterdrückung von Gefühlen bei.4” 

Eine Studie zeigt, dass höhere Burnout-Niveaus unter Gesundheitsdienstleistern mit einem Gesundheitswesen schlechterer Qualität und einer reduzierten Sicherheit für Patienten assoziiert waren. 5 Daher ist es wichtig, das Wohlbefinden von Ärztinnen und Ärzten zu thematisieren, um eine hochwertige, empathische Versorgung zu bewahren.

Die medizinische Ausbildung und das Unterdrücken von Gefühlen

Über das Arbeitspensum hinaus sind 58 % der Ärztinnen und Ärzte der Ansicht, dass die traditionelle medizinische Ausbildung aktiv von Empathie abhält,1 da die klinische Objektivität gegenüber einer emotionalen Verbundenheit betont wird. 

Eine Ärztin für Geburtshilfe argumentiert auf Sermo: “Die traditionelle Medizin ist ziemlich unbeweglich und vermeidet oftmals, die menschliche Seite des Heilen zu lehren.4” 

Von Anfang an werden viele mitfühlende Personen durch Auswahlprozesse herausgefiltert, die sich auf akademische Spitzenleistung und nicht auf emotionale Intelligenz konzentrieren.4 Ein Hausarzt auf Sermo weist darauf hin, dass dieses Bildungssystem “eine bedeutende Distanz zu den Patienten wahrt,4” was es für Ärzte schwieriger macht, Patienten gegenüber ein gefühlsmäßig engagiertes Verhalten zu entwickeln. 

Ohne formelle Schulungen zum Erreichen eines Gleichgewichts von Professionalität und emotionaler Verbundenheit gehen viele Ärztinnen und Ärzte auf Abstand. Aus diesem Grund muss die medizinische Ausbildung die Entwicklung von emotionaler Intelligenz und Empathie integrieren, um sicherzustellen, dass Ärzte in der Lage sind, so mit Patienten umzugehen, wie sie es eigentlich möchten.

Der schmale Grat zwischen Professionalität und Verletzlichkeit

Auch wenn Ärzte Empathie zeigen möchten, haben sie oft Probleme, das richtige Gleichgewicht zwischen Professionalität und emotionalem Engagement zu finden.

Ein Intensivmediziner auf Sermo bestätigt: “Es gibt ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Empathie und Professionalität, das jeder Arzt für sich entdecken muss.4” Derweil warnt eine Augenärztin, dass ein “übermäßiges oder unangemessenes Zurschaustellen von Gefühlen die Fähigkeit eines Arztes beeinträchtigen kann, objektive und rationale klinische Entscheidungen zu treffen.4” 

Dennoch behauptet ein Allgemeinmediziner auf Sermo, dass “menschlich und professionell zu sein, in der medizinischen Praxis koexistieren sollte.4” Während Objektivität für fundierte medizinische Entscheidungen unerlässlich ist, kann das Unterdrücken von Empathie dem Vertrauen und der Zufriedenheit des Patienten vollends schaden.

Praktische Schritte zur Förderung von Empathie im Gesundheitswesen

Ärzte auf Sermo identifizierten vier Schwerpunkte, die dazu beitragen könnten, die Lücke zwischen professioneller Distanz und mitfühlender Versorgung zu schließen.

1. Reformieren der medizinischen Ausbildung1

16 % der Ärzte auf Sermo glauben, dass Empathie erzeugende Praktiken in die medizinische Ausbildung integriert werden sollten, anstatt von emotionaler Verbundenheit abzuhalten.4

Ein Traumatologie-Experte auf Sermo sagt: “Das Zeigen der ‘menschlichen Seite’ wird an der medizinischen Hochschule nicht gelehrt und vernachlässigt.4” 

Sermo-Mitgliedern zufolge könnte die Umstellung der medizinischen Ausbildung, um emotionale Intelligenz und patientenzentrierte Kommunikationsschulungen zu integrieren, zukünftigen Ärzten helfen, klinische Distanz mit menschlicher Verbundenheit abzugleichen.1

2. Zur emotionalen Unterstützung unter Fachkollegen ermutigen1

20 % der Ärzte auf Sermo sind der Meinung, dass die Unterstützung von Kollegen zur Reduzierung von emotionaler Erschöpfung und Förderung der Widerstandsfähigkeit unerlässlich ist. Eine Hausärztin auf Sermo hebt hervor, dass “emotionale Unterstützung unter Fachkollegen entscheidend ist. Sie hilft, die emotionale Belastung der Mediziner zu lindern.4” 

Sermo bietet Ärztinnen und Ärzten einen Raum, ihre Herausforderungen offen mitzuteilen und Unterstützung zu erhalten — etwas, zu dem Ärzten zufolge ermutigt und das in medizinischen Netzwerken umfassender gefördert werden sollte.1

3. Arbeitspensum und Stress reduzieren1

41 % der Ärzte auf Sermo betrachten die Überarbeitung als das wichtigste Hindernis, Empathie aufzubringen. Ein Arzt für Intensivmedizin auf Sermo stellt fest: “Die Reduzierung von Stress ist für die Verbesserung der Beziehung zwischen Arzt und Patient unerlässlich.4” 

Wenn Ärzte Terminpläne haben, die Sie bewältigen können, dann verfügen sie über den mentalen Raum, um sich einfühlsam zu engagieren. Sermo-Mitgliedern zufolge könnte die Implementierung von optimierten Terminplänen, administrativer Unterstützung und realistischen Patientenquoten Ärzten die Zeit und die geistige Kapazität verschaffen, sich im Hinblick auf Patienten empathisch zu engagieren.1

4. Schulungen in empathischer Kommunikation im Rahmen der Patientenversorgung anbieten1

21 % der Sermo-Ärzte sind der Auffassung, dass kleine Gewohnheiten, wie aktives Zuhören und persönliche Gespräche, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbessern. Ein Familienmediziner teilt auf Sermo mit: “Ich versuche etwas Small Talk mit den Patienten… Es schafft dauerhafte Beziehungen.4” Während uns eine Hausärztin erinnert: “Empathie ist ein Muskel, trainieren Sie ihn jeden Tag.4

Sermo-Mitglieder sind der Ansicht, dass strukturierte Empathie-Schulungen in die medizinische Ausbildung und in berufsbezogene Entwicklungsprogramme integriert werden könnten, was Übungen zum aktiven Zuhören und Interaktionen mit Patienten aus der klinischen Praxis beinhaltet, um zu gewährleisten, dass eine mitfühlende Kommunikation zu einer klinischen Kernkompetenz wird.1

Die Rolle der Technologie bei der Stärkung oder Behinderung der Verbundenheit

Die Technologie hat das Gesundheitswesen transformiert und bietet neue Wege, mit Patienten zu kommunizieren und Prozesse zu rationalisieren. Obwohl sie eine personalisiertere und effizientere Versorgung unterstützen kann, sorgt sie für Herausforderungen, was die authentische menschliche Verbundenheit betrifft.

1. Telemedizin

Die Telemedizin ermöglicht eine bessere Zugänglichkeit und Beständigkeit der Versorgung, besonders in abgelegenen Regionen. Allerdings beseitigt sie nicht-verbale Signale, die für Empathie entscheidend sind. 

Ein Internist auf Sermo merkt an: “Der Telemedizin, die für eine sichere und komfortable Versorgung notwendig ist, fehlt es an physischem Kontakt und Präsenz, die oftmals Geborgenheit und Empathie vermitteln.4” 

Ohne Augenkontakt, Körpersprache und menschliche Berührung bergen virtuelle Termine das Risiko, sich distanziert und transaktional zu fühlen, was die Beziehung zwischen Arzt und Patient beschädigt. Um diese Lücke zu schließen, könnten Ärzte bezüglich digitaler Kommunikationsstrategien geschult werden, die Empathie fördern.

2. Verwaltungsaufwand

Elektronische Gesundheitsakten (eGA) verschaffen Ärzten schnellen Zugang zu Patientenanamnesen, was fundiertere Behandlungsentscheidungen ermöglicht. 

Die Zeit für die Dateneingabe kann jedoch zu Lasten der Interaktion mit Patienten gehen. Eine Allgemeinmedizinerin auf Sermo hebt hervor: “Überstrapazierte Umfelder und verwaltungstechnische Überlastung können zu einer Abtrennung von der menschlichen Komponente des Arztberufs führen.4

Um dies zu mindern, könnten Gesundheitssysteme Wege finden, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und mehr Zeit für sinnvolle Interaktionen mit Patienten zu ermöglichen.

3. Das Risiko unpersönlicher Interaktionen

Technologie kann die psychische Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten unterstützen und helfen, Burnout zu reduzieren. Aber das blinde Vertrauen in digitale Tools kann dazu führen, dass sich die Interaktionen zwischen Ärzten und Patienten wie vorbereitete Gespräche anfühlen. Ein Radiologe auf Sermo warnt: “Professionelle ‘Empathie’-Techniken hören sich wie Fake an… Patienten können mit einem Arzt klarkommen, der ausschließlich professionell ist, aber niemand will einen Arzt, der unaufrichtig und manipulativ erscheint.4

Technologie sollte die menschliche Verbundenheit im Gesundheitswesen ergänzen, nicht ersetzen. Das Gleichgewicht zu finden, ist der Schlüssel dazu, digitale Tools wegen ihrer Effizienz zu nutzen, während die unerlässliche menschliche Note bewahrt wird.

Die Kernpunkte

Empathie im Gesundheitswesen stärkt das Vertrauen, verbessert die Patientenergebnisse und reduziert den Stress der Ärzte. Hindernisse wie Burnout, eine starre Ausbildung und Verwaltungslasten erschweren es Ärzten jedoch, ihre menschliche Seite zum Ausdruck zu bringen.

Die Zukunft einer mitfühlenden Versorgung erfordert systembezogene Veränderungen:

  1. Integration von emotionaler Intelligenz in die medizinische Ausbildung, um Ärzte mit Kommunikationsfähigkeiten auszustatten.
  2. Umstellung der medizinischen Kultur, die Verletzlichkeit schätzt und Professionalität mit Empathie ins Gleichgewicht bringt.
  3. Bürokratie reduzieren, um Ärzten mehr Zeit für sinnvolle Interaktionen mit Patienten zu verschaffen.2

Durch die Umgestaltung der Ausbildung, Stressabbau und die Förderung der emotionalen Verbundenheit kann sich das Gesundheitswesen zu einem System entwickeln, in dem Empathie die Standardpraxis ist und kein Anhängsel.

Beteiligen Sie sich auf Sermo an der Diskussion

Eine mitfühlende Betreuung ist das Herz einer großartigen Medizin, aber Empathie mit der Realität des modernen Gesundheitswesens in Einklang zu bringen, ist nicht einfach. Treten Sie Sermo bei, um sich mit Ihren Fachkollegen darüber zu unterhalten, wie Sie diese Herausforderungen in Ihrer klinischen Praxis bewältigen können.  

Footnotes

  1. ​​Sermo, 2024. Umfrage der Woche: Die Herausforderungen, wenn Ärzte ihre menschliche Seite offenbaren müssen [Poll]. Sermo-Community.
  2. Derksen F, Bensing J, Lagro-Janssen A. Effectiveness of empathy in general practice: a systematic review. Br J Gen Pract Januar 2013; 63 (606): e76-84 doi: 10 3399/bjgp13X660814. PMID: 23336477; PMCID: PMC3529296.
  3. University of Technology Sydney (UTS), 2024. Verbesserung und Prüfung der Empathiefähigkeit bei Studierenden und Ärzten im Gesundheitswesen.
  4. Sermo-Mitglied, 2024. Kommentar zur Umfrage der Woche: Die Herausforderungen, wenn Ärzte ihre menschliche Seite offenbaren müssen [Poll]. Sermo-Community [Private online forum].
  5. Salyers MP, Bonfils KA, Luther L, Firmin RL, White DA, Adams EL, Rollins AL. Die Beziehung zwischen Professional Burnout und Qualität und Sicherheit im Gesundheitswesen: Eine Meta-Analyse. J Gen Intern Med. April 2017; 32 (4): 475-482 doi: 10 1007/s11606-016-3886-9. Epub 26. Oktober 2016. PMID: 27785668; PMCID: PMC5377877.