Der Einfluss von Meinungsführern im Gesundheitswesen

In einer kürzlich durchgeführten Sermo-Umfrage gaben 86 % der Ärztinnen und Ärzte an, dass die Glaubwürdigkeit eines Meinungsführers von seiner beruflichen Qualifikation, seiner Erfahrung oder den Empfehlungen von Fachkollegen abhängt. Nur 10 % waren der Meinung, dass die Qualität ihrer Inhalte der wichtigste Faktor ist.1

Diese Diskrepanz wirft eine Frage auf: Wie sollten Ärzte Meinungsführer bewerten, wenn bezüglich der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit die Autorität oftmals die Qualität der Inhalte überwiegt?

Das ist eine berechtigte Sorge. In den USA haben mehr als 141.000 medizinische Fachkräfte als bezahlte Referenten für Pharmaunternehmen gearbeitet.2 Diese Partnerschaften können zwar Bedenken hinsichtlich der Unparteilichkeit aufwerfen, tragen aber auch zur Verbreitung neuer medizinischer Erkenntnisse und Daten aus klinischen Studien bei. 

Leben wir in einer Ära der ungeprüften Beeinflussung, wenn die von Meinungsführern erzeugten Inhalte bezüglich der Qualität variieren, diese von praktizierenden medizinischen Fachkräften aber dennoch genutzt werden?

Dieser Artikel stützt sich auf Sermo-Umfragedaten und die Erkenntnisse von Ärztinnen und Ärzten und untersucht, wie Meinungsführer von ihren Fachkollegen gesehen werden. Wir werden uns damit beschäftigen, wie deren Inhalte erhalten werden, wie sie die klinische Praxis beeinflussen und ob Glaubwürdigkeit immer noch verdient oder einfach nur angenommen wird.

Wer sind Meinungsführer im Gesundheitswesen und warum sind sie wichtig?

Meinungsführer im Gesundheitswesen sind hochkarätige Experten, die die medizinische Praxis durch ihre Expertise, Forschung und Reichweite prägen. Dabei kann es sich um Ärzte, akademische Forscher, Krankenhausleiter oder Fürsprecher von Patienten handeln.3 Allen gemeinsam ist die Fähigkeit, sich für neue Ideen einzusetzen und die Denkweise ihrer im Gesundheitswesen tätigen Fachkollegen zu beeinflussen.

Wie ein Sermo-Mitglied und Allgemeinmediziner es formuliert: “Es gibt viele Ressourcen, aber ich bevorzuge den direkten Kontakt mit Menschen mit jahrelanger Erfahrung.4

Diese Präferenz spiegelt einen umfassenden Branchentrend wider. Der Markt für das Management von Meinungsführern in der Medizin wird Stand 2025 auf 65,06 Milliarden US-Dollar geschätzt und bis 2032 wird eine Verdreifachung auf 211,27 Milliarden US-Dollar erwartet.5 Diese massive Expansion ist ein Zeichen dafür, dass Gesundheitsorganisationen und Pharmaunternehmen Meinungsführer zunehmend als Möglichkeit sehen, Gespräche und Entscheidungen zu beeinflussen.

Doch mit dieser größeren Reichweite geht auch eine größere Verantwortung einher. Wenn Meinungsführer in der Pharmaindustrie einen Fehler machen, können die Folgen schwerwiegend sein. Eine markante historische Lektion ist die Förderung von Vioxx (Rofecoxib). Dabei hat es sich um ein von Merck entwickeltes Schmerzmittel gehandelt, das von prominenten medizinischen Sprachrohren unterstützt wurde, bevor es 2004 aufgrund eines Zusammenhangs mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vom Markt genommen wurde.6 In diesem Fall trug der Einfluss dieser Stimmen zur Übernahme des Medikaments und zu einer verzögerten Prüfung bei.7

In einem digitalen Zeitalter, in dem sich Inhalte schnell verbreiten und Einfluss zu Geld gemacht wird, war die Fähigkeit, die Glaubwürdigkeit eines Meinungsführers kritisch zu bewerten, noch nie so wichtig wie heute.

Was macht einen Meinungsführer in der Medizin glaubwürdig?

Einer Sermo-Umfrage zufolge glauben Ärztinnen und Ärzte, dass die wichtigsten Faktoren für die Glaubwürdigkeit von Meinungsführer in der Medizin wie folgt sind:

  • 48 % – Berufliche Referenzen
  • 21 % – Jahre an Erfahrung
  • 17 % – Empfehlungen von Fachkollegen
  • 10 % – Qualität der Inhalte
  • 0 % – Social Media-Anhängerschaft oder -Engagement1

Diese Zahlen weisen auf eine Art von eigenständiger Lenkung durch Vertrauen in die berufliche Hierarchie und die Validierung durch Fachkollegen hin. Wie ein Allgemeinmediziner auf Sermo anmerkte: “[Wir müssen] die Qualifikationen, Erfahrungen und Fachkenntnisse von Influencern im Gesundheitswesen bewerten. Ärzte, Krankenpflegekräfte, Ernährungswissenschaftler und Branchenexperten verfügen aufgrund ihrer Erfahrungen aus erster Hand oftmals über Glaubwürdigkeit.4

Allerdings richten sich diese Ergebnisse auch gegen die eigene Intuition. Wenn die Qualität der Inhalte nur ein untergeordneter Faktor für die Bestimmung der Glaubwürdigkeit ist, besteht die Gefahr, dass Einfluss allein aufgrund der Reputation verliehen wird. Diese Situation könnte ermöglichen, dass Fehlinformationen, Voreingenommenheit oder sogar politische und kommerzielle Agenden unwidersprochen untergejubelt werden.

Dies ist besonders besorgniserregend, da keiner der Befragten in der Sermo-Umfrage das Social Media-Engagement in den sozialen Medien als Indikator für Vertrauen angesehen hat. Es deutet darauf hin, dass Plattformen wie TikTok oder LinkedIn Meinungsführern zwar neue Reichweite verschaffen, die medizinische Community der digitalen Popularität als Stellvertreter für Fachwissen jedoch skeptisch gegenübersteht.

Wie gehen Ärzte mit Inhalten von Meinungsführern um?

Ärztinnen und Ärzte interagieren häufiger und in einer breiteren Palette von Formaten als je zuvor mit Inhalten von Meinungsführern. Die Antworten in einer Sermo-Umfrage besagen, dass 44 % der Ärztinnen und Ärzte mehrmals pro Woche mit Meinungsführer-Inhalten interagieren, während weitere 36 % dies wöchentlich oder alle zwei Wochen tun.1 Dies zeigt, dass Meinungsführer heute eine regelmäßige, möglicherweise sogar unverzichtbare Quelle für professionellen Input sind.

Bei der Frage nach den wertvollsten Inhaltsformaten bevorzugten 38 % der Ärztinnen und Ärzte kurze Videos, gefolgt von ausführlichen Artikeln (19 %), Webinaren (19 %), Podcasts (12 %) und Fallstudien (4 %).1

Die Beliebtheit von kurzen Videoinhalten, wahrscheinlich durch Plattformen wie TikTok, Instagram Reels und YouTube Shorts inspiriert, deutet darauf hin, dass Ärztinnen und Ärzte Wert auf Geschwindigkeit und Zugänglichkeit legen. Allerdings besteht nun die Gefahr, dass diese kurzen, mundgerechten Formate die Tiefe zugunsten der Zugänglichkeit opfern, insbesondere bei komplexen medizinischen Themen. Auf diesen Plattformen kann es schwierig sein, zu beurteilen, ob die Informationen unvoreingenommen, vollständig oder möglicherweise sogar von kommerziellen oder politischen Motiven beeinflusst sind.

Abgesehen davon deutet die Tatsache, dass detaillierte Artikel an zweiter Stelle stehen, darauf hin, dass sich viele Ärzte immer noch schlüssigen, evidenzbasierten Formaten zuwenden, um Kenntnisse zu erlangen. Diese Ausgewogenheit legt nahe, dass Gesundheitsdienstleister nach wie vor ein anspruchsvolles Publikum sind, das schnelle Einblicke schätzt, aber dennoch Wert auf Substanz legt.

Auf die Frage, worauf es bei Meinungsführer-Inhalten am meisten ankommt, nannten 29 % der Ärztinnen und Ärzte auf Sermo die Genauigkeit und 17 % die Relevanz.1 Dies unterstreicht die Bedeutung von Vertrauen. Ein Hausarzt auf Sermo merkte an: “Zu den Faktoren, die die Glaubwürdigkeit steigern, gehören medizinisches Fachwissen, Forschungserfahrung und berufliche Zertifizierungen.4” Ärzte suchen zwar immer noch nach bekannten Namen, aber ebenso nach Inhalten, die klinisch nachgewiesen und für ihr Fachgebiet relevant sind.

Angesichts der Häufigkeit, mit der sich medizinische Fachkräfte mit sozialen Inhalten beschäftigen, kann selbst ein einziger irreführender Beitrag einen übergroßen Einfluss haben. Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, sollten Meinungsführer daher konsequent Genauigkeit, Objektivität und klinische Relevanz in den Vordergrund stellen und medizinische Fachkräfte sollten dies auch weiterhin von ihnen verlangen.

Ärztinnen und Ärzte tragen zur Diskussion bei: Beeinflussen Meinungsführer die klinische Entscheidungsfindung und die Auswahlmöglichkeiten?

Meinungsführer spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie Ärztinnen und Ärzte neue Ideen erkunden, aber nicht unbedingt im Hinblick darauf, wie sie endgültige klinische Entscheidungen treffen. Einer Sermo-Umfrage zufolge sagen 38 % der Ärzte, dass Updates zu neuen Medikamenten sie dazu inspirieren, weitere Recherchen anzustellen, während 21 % die Ergebnisse klinischer Studien oder persönliche Erfahrungen schätzen. Nur 8 % geben an, dass Expertenmeinungen ihre Entscheidungen direkt beeinflussen.1

Dies deutet darauf hin, dass Meinungsführer eher als Inspiration für weitere Recherchen fungieren, anstatt als letzte Stimme in einer Angelegenheit. Ihr Einfluss zeigt sich unter anderem in der Sensibilisierung und Förderung des Engagements, anstatt präzise Behandlungen vorzuschreiben. Dies ist beruhigend, was deren Glaubwürdigkeit betrifft, da es zeigt, dass die meisten Ärzte ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, anstatt Empfehlungen für bare Münze zu nehmen.

48 % der Ärztinnen und Ärzte nennen zwar die berufliche Qualifikation als wichtigsten Glaubwürdigkeitsfaktor,1 aber es ist klar, dass Nachweise nach wie vor am wichtigsten sind. Die Ergebnisse der Sermo-Umfrage legen den Einfluss von Meinungsführern in folgenden Bereichen nahe:

  • Explorative Untersuchung und Untersuchung drängender Fragen
  • Unterstützung bei der Bereitstellung zusätzlicher Informationen zu relevanten, aber nuancierten Angelegenheiten im Gesundheitswesen
  • Hintergrundinformationen, um Orientierungshilfen und weitere Vorgehensweisen aufzuzeigen, aber keine genauen Methoden

Daher verfügen die Meinungsführer über Einfluss, die solide Forschung präsentieren, diese mit Erfahrung kontextualisieren und zu unabhängigem Denken anregen – nicht diejenigen, die den Status quo diktieren oder ihn einfach nur akzeptieren. 

Wie können Ärztinnen und Ärzte in Zukunft mit Meinungsführern interagieren – wird das Vertrauen zunehmen oder die Skepsis wachsen?

Sermo-Daten zeigen:

  • 42 % der Ärztinnen und Ärzte glauben, dass der Einfluss von Meinungsführern auf einer Mischung aus Nutzen und Herausforderungen beruht
  • Professionelle Qualifikationen bleiben der wichtigste Glaubwürdigkeitsfaktor
  • Die Zukunft des Einflusses von Meinungsführern hängt davon ab, ob die von ihnen produzierten Inhalte unvoreingenommen und evidenzbasiert sind, um Erkenntnisse zu vermitteln1

Das Vertrauen, das Ärztinnen und Ärzte in Meinungsführer haben, muss verdient und aufrechterhalten werden. In einer Ära von Fehlinformationen und kommerziellen Partnerschaften schwindet das blinde Vertrauen. Ärzte wollen die Ethik der Inhalte, die sie konsumieren, durch Transparenz, Genauigkeit und klinischen Nutzen gewährleistet sehen.

Wie ein Allgemeinmediziner auf Sermo feststellt: “Um Vertrauen aufzubauen, sollten Influencer im Gesundheitswesen potenzielle Konflikte offenlegen, evidenzbasierte Informationen austauschen und sich respektvoll online engagieren.4

Da Fachkollegen in deren Inhalten danach suchen, hängt der Erfolg eines Meinungsführers von seiner Fähigkeit ab:

  • In Bezug auf Sponsoring und berufliche Verbindungen transparent zu sein
  • Die Vor- und Nachteile von Therapien zu präsentieren
  • Zur Diskussion zu ermutigen, anstatt die Schlussfolgerungen zu diktieren

Wie sollten die Inhalte von Meinungsführern überprüft werden? (3 kurze Tipps)

  • Überprüfen Sie auf Offenlegungen und Interessenkonflikte.
  • Suchen Sie nach Beiträgen, die von Fachkollegen geprüft wurden, nicht nur nach Werbematerial.
  • Gleichen Sie den Rat von Meinungsführern mit Ihrer eigenen klinischen Beurteilung und vertrauenswürdigen Leitlinien ab.

Unabhängig davon, ob Sie Meinungsführern genau oder mit Vorsicht folgen, sollten Sie letztendlich sicherstellen, dass Sie informiert und kritisch sind und dass Sie Ihre klinischen Entscheidungen weiterhin evidenzbasiert treffen.

Die Kernpunkte

Angesichts der zunehmenden Zahl von Meinungsführern wird deren Fähigkeit, weiterhin Einfluss zu nehmen, von ihrer Fähigkeit abhängen, einer verstärkten Überprüfung standzuhalten sowie von der Qualität ihrer Inhalte, für die ihre Anhänger sie zur Rechenschaft ziehen.

Letztlich liegt die Stärke des medizinischen Berufs in der Fähigkeit zur Selbstregulierung. Ärzte vertrauen einander nicht wegen des Ruhmes, sondern wegen gemeinsamer Standards. Wie eine Allgemeinmedizinerin auf Sermo formuliert: “Was Influencer im Gesundheitswesen glaubwürdig macht, ist Vertrauen. Die meisten Menschen haben großen Respekt vor medizinischen Fachkräften, weil deren Arbeit im Allgemeinen auf Vertrauen und dem geleisteten Eid aufbaut.4

Das Ethos von gegenseitigem Respekt, Sorgfalt und Vertrauen ist das, was auch in Zukunft die Art und Weise bestimmen wird, wie Ärzte ihre Meinungsführer auswählen und auf welche Weise Meinungsführer ihren Platz in der Medizin verdienen.

Footnotes

  1. Sermo, 2024. Umfrage der Woche: Umgang mit dem „Meinungsführer“-Spiel im Gesundheitswesen-Marketing [Poll]. Sermo-Community.
  2. Sismondo S. How to make opinion leaders and influence people. CMAJ. 2015 Jul 6;187(10):759–60. doi: 10.1503/cmaj.150032. Epub ahead of print. PMID: 26149703; PMCID: PMC4500705.
  3. Kendle Healthcare, 2024. KOLs in pharma: What are they and why do they matter?
  4. Sermo-Mitglied, 2024. Kommentar zur Umfrage der Woche: Umgang mit dem „Meinungsführer“-Spiel im Gesundheitswesen-Marketing [Poll]. Sermo-Community [Private online forum]
  5. GlobeNewswire, 2024. Global Key Opinion Leader Management Market set to grow at 12.5% CAGR, surpassing USD 211.27 billion by 2032 amid increasing demand – FMI.
  6. Vioxx: an unequal partnership between safety and efficacy, The Lancet, The Lancet, Volume 364, Issue 9442, 1287 – 1288
  7. Krumholz HM, Ross JS, Presler AH, Egilman DS. What have we learnt from Vioxx? BMJ. 2007 Jan 20;334(7585):120-3. doi: 10.1136/bmj.39024.487720.68. PMID: 17235089; PMCID: PMC1779871.